
Welche Rolle spielen gemeinnützige Akteure bei der energetischen Sanierung von Mehrfamilienhäusern? Antworten bietet ein Forschungsprojektes des Lehrstuhls für Landschaftsarchitektur RWTH Aachen. Bild: Canva
Gemeinnützige Akteure in der energetischen Sanierung
Welche Rolle spielen gemeinnützige Akteure bei der energetischen Sanierung von Mehrfamilienhäusern? Welche Herausforderungen stellen sich – und welche Lösungen und Handlungsmöglichkeiten bestehen bereits? Diesen Fragen sind gemeinnützige Organisationen, darunter auch natureplus, im Rahmen eines Workshops an der RWTH Aachen nachgegangen. Die gute Nachricht: Viele vielversprechende Ansätze gibt es schon. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick.
Im Workshop wurde mit gemeinnützigen Akteuren intensiv über die Herausforderungen, Möglichkeiten und Strategien der energetischen Sanierung von Mehrfamilienhäusern diskutiert. Dabei diente das Modell der Entwicklung von Nischen zum Mainstream anhand von 5 Mechanismen als analytischer Rahmen.
Ein zentrales Ergebnis war, dass viele Lösungen für die Verbreitung von Nischenstrategien bereits existieren – oft braucht es nur die Bestätigung und Ermutigung der Akteure, um diese weiter voranzutreiben. Auch die abschließende Umfrage zeigte, dass viele Teilnehmende nicht unbedingt neue Erkenntnisse gewonnen haben, aber den Austausch als bereichernd empfanden, weil er half, bereits vorhandene Ansätze zu reflektieren, andere Perspektiven kennenzulernen und sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen.
Die Diskussion orientierte sich an fünf zentralen Mechanismen, die zur Verbreitung von Innovationen beitragen:
- Framing: Wie ein Thema kommuniziert wird und welche Aspekte betont oder ausgeblendet werden.
- Exploration: Die Suche nach praktischen Lösungen und der Umgang mit Unsicherheiten und Herausforderungen.
- Standardisierung: Die Entwicklung von Regeln, Normen und Verfahren, die die Umsetzung erleichtern.
- Akzeptanz: Die Zustimmung und Unterstützung verschiedener Akteure, die oft von persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Faktoren abhängt.
- Imitation: Die Übernahme erfolgreicher Beispiele und deren Verbreitung.
Die Ergebnisse im Detail
1. Framing: Wahrnehmung und Kommunikationsstrategien
Ein zentrales Thema war, wie energetische Sanierung in der Öffentlichkeit und in der Beratung durch gemeinnützige Akteure dargestellt wird. Während Begriffe wie Energieeinsparung, Unabhängigkeit und Komfortgewinn positive Assoziationen wecken, gibt es auch negative Wahrnehmungen wie hohe Kosten, Bürokratie und bauliche Komplexität.
Gemeinnützige Organisationen setzen gezielt eigene Framings ein, um Sanierung attraktiver zu machen – etwa durch die Betonung von Behaglichkeit, Innenraumästhetik und langfristiger Werterhaltung. Es wurde diskutiert, dass Vermietende oft stärker auf wirtschaftliche Vorteile reagieren und entsprechend anders adressiert werden müssen als Mietende, die häufig finanzielle Sorgen haben.
2. Exploration: Unsicherheiten und Herausforderungen in der Praxis
Die Teilnehmenden äußerten große Unsicherheit über die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten. Es wurde intensiv darüber diskutiert, dass die häufigen Änderungen in der Gesetzgebung zu einer abwartenden Haltung führen und die Sanierungsquote dadurch gesunken sei. Ein Beispiel, das in der Diskussion mehrfach genannt wurde, ist das Gebäudeenergiegesetz (GEG), das in den letzten Jahren dazu geführt habe, dass viele Eigentümer kurzfristig auf Gasheizungen umgestiegen sind, anstatt in nachhaltige Alternativen zu investieren.
In Bezug auf die tatsächliche Durchführung energetischer Sanierungen berichteten einige gemeinnützige Akteure von ihren Erfahrungen mit pragmatischen Lösungen: Oft seien kostengünstige Maßnahmen auch ohne Förderung realisierbar, und für viele Eigentümer spiele die Unabhängigkeit von Energiekosten eine größere Rolle als staatliche Zuschüsse. Besonders interessant war der Austausch über lokale Initiativen, die zusätzliche Fördermittel für ökologische Dämmstoffe bereitstellen, etwa in Aachen.
Ein weiteres wichtiges Thema war die veränderte Motivation vieler Ratsuchender: Während früher vor allem die Amortisierung im Fokus stand, rücken Klimaschutz und Versorgungssicherheit zunehmend in den Vordergrund. Gemeinnützige Organisationen berichteten, dass Vor-Ort-Beratungen und Stadtspaziergänge helfen, Vertrauen aufzubauen und Unsicherheiten abzubauen.
3. Standardisierung: Fehlende Normen und Praxisprobleme
Ein großes Hindernis, das in der Diskussion immer wieder betont wurde, ist der Mangel an klaren Standards für energetische Sanierung. Während einige bautechnische Regelwerke existieren (z. B. für Wärmedämmverbundsysteme), fehlen für viele Maßnahmen – insbesondere in Bestandsgebäuden – standardisierte Verfahren.
Besonders problematisch wurde von den Teilnehmenden diskutiert, dass Standardisierungen oft sehr zäh verlaufen und nicht immer praktikabel sind. Gerade im Altbau seien Standards oft schwer umzusetzen, da Gebäude zu individuell seien. Beispiele wie die Problematik von Innendämmungen, die nur situativ funktionieren, oder die fehlende Zulassung von Steckersolargeräten in manchen Wohnanlagen wurden als konkrete Herausforderungen benannt.
Einige gemeinnützige Organisationen berichteten, dass sie versuchen, Musterlösungen oder Leitfäden für Sanierungen zu entwickeln. Diese seien jedoch meist nur bedingt übertragbar. Gleichzeitig wurde hervorgehoben, dass eine bessere Standardisierung in manchen Bereichen helfen könnte, Planungsunsicherheiten zu reduzieren – beispielsweise durch digitale Hausakten oder vereinfachte Genehmigungsverfahren.
4. Akzeptanz: Hürden und Erfolgsfaktoren
Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Akzeptanz energetischer Sanierungen stark von den konkreten Auswirkungen auf Betroffene abhängt. In der Diskussion wurde insbesondere hervorgehoben, dass Lärm, Baugerüste und lange Bauzeiten oft als abschreckend empfunden werden. Gleichzeitig wurde auch diskutiert, wie Motivation dauerhaft gefördert werden kann, da Sanierungsprojekte oft mit anfänglicher Begeisterung starten, dann aber an Abstimmungsproblemen scheitern.
Es wurde auch intensiv über die Akzeptanz bei Mietenden gesprochen: Während viele grundsätzlich offen für Sanierungen sind, herrscht häufig Frust über steigende Mieten oder den Eindruck mangelnder Einflussmöglichkeiten. Gleichzeitig wurde betont, dass viele Vermietende ebenfalls vor großen Herausforderungen stehen und oft überfordert sind – insbesondere bei der Frage, wo sie mit einer Sanierung beginnen sollen und wie sie finanziert werden kann.
Einige gemeinnützige Akteure berichteten aus ihrer Erfahrung, dass Vor-Ort-Erfahrungen helfen können, Akzeptanz zu steigern. Beispielsweise können Besichtigungen von Wärmepumpen oder Solarstromanlagen dazu beitragen, Vorbehalte abzubauen. Es wurde auch darüber gesprochen, dass Photovoltaik eine der akzeptiertesten Maßnahmen ist, da der Nutzen unmittelbar sichtbar ist.
5. Imitation: Wie Nachahmungseffekte entstehen
Ein wesentlicher Diskussionspunkt war der Wunsch nach Akteursvernetzung, praxisnahen Lösungen und Best-Practice-Beispielen. Viele Teilnehmende sahen die Nachahmung erfolgreicher Beispiele als entscheidend für die Verbreitung von Sanierungsmaßnahmen an.
Besonders betont wurden Veranstaltungsformate wie Solarpartys oder Stadtspaziergänge, bei denen Menschen gemeinsam über Sanierungslösungen sprechen und ihre Erfahrungen austauschen können. Sanierungsmanager:innen in Quartieren wurden als zentrale Akteure genannt, um Wissen weiterzugeben und lokale Netzwerke zu stärken.
Verortung im Modell
Jeder der fünf Mechanismen kann als Nischenlösung, Transformationsprozess oder Mainstream-Technologie eingeordnet werden. Nach der Diskussion wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Einschätzung dazu abzugeben (siehe Bild). Das Ergebnis zeigt, dass die meisten Mechanismen mehrheitlich im Transformationsprozess verortet wurden. Die energetische Sanierung ist also keine reine Nischenlösung mehr, aber auch noch nicht im Mainstream angekommen.
Überraschenderweise wurde Akzeptanz als am weitesten fortgeschrittener Mechanismus bewertet, während beim Framing der größte Aufholbedarf gesehen wurde. Besonders viel Interesse galt den Mechanismen Standardisierung, Imitation und Framing, da sie als entscheidend für den weiteren Fortschritt wahrgenommen wurden.

Fazit
Der Workshop zeigte, dass es bereits viele Lösungen für die energetische Sanierung gibt – oft fehlt nur der richtige Rahmen für den Austausch und die Bestätigung durch andere, um bestehende Ansätze weiterzuentwickeln. Durch das strukturierte Format konnten die Teilnehmenden über ihre eigenen Stärken reflektieren, voneinander lernen und neue Impulse für ihre Arbeit mitnehmen. Besonders wertvoll wurde die Vernetzung mit anderen Akteuren empfunden, um sich gegenseitig zu bestärken und bewährte Formate in die eigene Praxis zu übertragen.
Hintergrund
Der Workshop wurde vom Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur der RWTH Aachen unter der Leitung von Prof. Frank Lohrberg konzipiert und im Rahmen des vom BMBF geförderten Forschungscampus FEN durchgeführt. Thema des Workshops war die Rolle gemeinnütziger Akteure in Transformationsprozessen, am Beispiel der energetischen Sanierung von Mehrfamilienhäusern. Ziel des Workshops war es, gemeinsam mit Akteur*innen aus dem gemeinnützigen Bereich zentrale Herausforderungen, bereits bestehende Lösungsansätze und zukünftige Handlungsoptionen zu identifizieren. Grundlage dafür war das Modell von Schöpper et al. (2024) zur Entwicklung von Nischen zum Mainstream, das anhand von fünf Mechanismen – Framing, Exploration, Standardisierung, Akzeptanz und Imitation – eine strukturierte Diskussion ermöglichte.
Die Zielgruppe des Workshops waren Vertreter:innen gemeinnütziger Organisationen, insbesondere solche, die sich mit nachhaltigem Bauen, Wohnen oder sozial-ökologischen Transformationsprozessen befassen.
Das kompakte und interaktive Format bot Raum für Austausch, Reflexion und Vernetzung – und lässt sich auch auf andere Themenbereiche übertragen.
Für das Workshopformat steht eine Methodenbeschreibung bereit, die als Grundlage dient, um den Workshop sowohl zu diesem als auch zu anderen Themen eigenständig durchzuführen.
Die Ergebnisse wurden vom Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur RWTH Aachen verfasst.
Möglichkeiten zur Vernetzung gibt es unter anderem bei natureplus. Folgen Sie uns dafür gern auf unseren Kanälen, abonnieren Sie unseren Newsletter oder werden Sie direkt Mitglied und Teil der Bauwende!