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Die drei Forschungshäuser "Einfach Bauen" in Bad Aibling aus (vlnr) Mauerwerk, Holz und Leichtbeton. Foto: PK Odessa, Schels, Lanz

Bauszene

Gebäudetyp E: experimentell und einfacher bauen

Eine Flut an Normen macht das Bauen in Deutschland kompliziert und teuer. Auf Initiative der Architektenkammern wird nun eine Möglichkeit ins Spiel gebracht, durch einen deregulierten Gebäudetyp E das einfache, kostengünstigere und dennoch nachhaltige Bauen möglich zu machen.

December 12, 2023

Der Ausschuss für Wohnen, Bau und Verkehr im Bayerischen Landtag hat Anfang 2023 die Einführung des von der Bayerischen Architektenkammer initiierten "Gebäudetyps E" auf den Weg gebracht. Das „E“ steht für einfach und experimentell. Die neue Gebäudeklasse soll Architektinnen und Architekten ermöglichen, in bestimmten Fällen bewusst und in Absprache mit den Bauherren von den tausenden am Bau geltenden Normen abzuweichen. Das Ziel: Bauen soll kostengünstiger und flexibler werden, ohne dabei an Qualität einzubüßen. Die Initiative hat das Ziel, einen verbindlichen Anspruch auf Abweichungen in die Bauordnung aufzunehmen. Gemeinsam mit dem bayerischen Justizministerium wird darüber hinaus an einem Vorschlag gearbeitet, Vorhaben des Gebäudetyps E auch zivilrechtlich von bauordnungsrechtlich nicht geforderten Normen zu entlasten, um individuelle Vereinbarungen zwischen Bauherren und Architektinnen und Architekten zu ermöglichen. Begleitet soll die Einordnung in die Gebäudeklasse „E“ von einer Öffnungsklausel im § 650 o BGB werden, welche die privatrechtlichen Ansprüche auf die genormten Standards löst und den Bauherren freie Hand gibt. Um den Verbraucherschutz dadurch nicht zu schwächen, soll der neue Gebäudetyp zunächst nur in der Zusammenarbeit mit sachkundigen Bauherren, wie zum Beispiel kommunale Wohnungsbaugesellschaften, zugelassen werden.

"Wir bauen einen Mercedes als Standard"

Diese Initiative der Architektenkammern stößt auch in der Politik auf Widerhall. So sah Bundesbauministerin Klara Geywitz im August diesen Jahres im Interview mit der Leipziger Volkszeitung im Gebäudetyp E ein Potenzial zur Reduzierung der Baukosten: „Wir haben wirklich viele DIN-Normen. Viele von denen sind aber gar nicht notwendig, um das Haus sicher und gut zu machen, sondern sind Ausstattungsnormen. Das führt dazu, dass wir oft einen Mercedes bauen. Es reicht aber häufig, dass man ein anderes gutes und günstiges Modell hinstellt. Das könnten wir mit dem neuen Gebäudetyp E erreichen.“ Schon auf dem 9. Deutschen Baugerichtstag im Mai in Hamm wurden zehn Empfehlungen zum Gebäudetyp E verabschiedet und Ende Mai befassten sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder auf ihrer Frühjahrskonferenz damit: Bundesjustizminister Marco Buschmann soll prüfen, welche zivilrechtlichen Anpassungen erforderlich sind, um die Umsetzung des Gebäudetyps E rechtssicher zu ermöglichen, insbesondere bei der Sachmangelhaftung im Werkvertragsrecht, aber auch im Kauf-, Miet- und Haftungsrecht.

Mehr Planungsfreiheit

Mit dem Gebäudetyp E würden Bauherren und Planungsbüros deutlich mehr Freiheiten erhalten. Architekten und Ingenieure könnten kreativer ihre Kompetenz einbringen, um sinnvolle und nachhaltige Gebäude zu bezahlbaren Kosten zu bauen. Am Beginn eines „E“-Projekts stehen gemeinsame Festlegungen zwischen Planern und Bauherren zu den Zielen und Qualitäten, die frei vereinbart werden können, sich aber an gängigen Standards orientieren. Grundsätzlich gelten die Schutzziele der Bauordnungen zum Thema Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz. Laut Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK), geht es nicht nur um eine kleine Anpassung von Normen: „Unser Vorschlag ist eine radikale Entschlackungskur, ein echter Befreiungsschlag. Es geht darum, im Einvernehmen mit den Bauherren Innovation zu ermöglichen und neue Ideen zu entwickeln. Es muss um ­Kreativität gehen und nicht nur um die Einhaltung von Normen.“

3.700 Normen

Gebhard beklagt im Interview mit dem Deutschen Architektenblatt (DAB), "bei uns ist die Normung extrem wichtig geworden, die DIN-Normen sind wie Gesetze, weil sie zu den 'anerkannten Regeln der Technik' (aaRdT) gehören." Aber sie sind eigentlich keine. Und weil diese zusätzlichen Regeln der Technik immer weiter ausdifferenziert werden, gebe es ständig neue DIN-Normen, wie beispielsweise die, dass die Türen in Deutschland automatisch zufallen müssen. "Natürlich reagieren neue Normen auch auf Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer, aber es sind eben auch Ideen der Bauindustrie. Auf diese Weise haben wir inzwischen 3.700 Normen, die mal mehr, mal weniger sinnvoll sind und sich teilweise sogar widersprechen. Und wenn am Ende nur eine davon nicht erfüllt ist und jemand klagt, werden wir als Architekten in die Haftung genommen." Dabei gibt es nicht einmal eine abschließende Liste von aaRdT, sodass Empfehlungen im vorauseilenden Gehorsam befolgt werden, auch wenn diese sich kostensteigernd und ressourcenintensiv auswirken. Das wird besonders deutlich bei den europaweit einmalig hohen Anforderungen an den Schallschutz etwa in Deckenaufbauten und Zwischenwänden. "Wir brauchen eine Rückkehr dahin, dass einfaches Bauen wieder möglich wird."

Viele Normen verteuern das Bauen

Die vielen Normen verteuern das Bauen enorm. "Allein die Deckenstärken bedeuten wesentlich mehr Material, wesentlich mehr Aufwand." Oder die ganzen technischen Installationen wie künstliche Lüftung mit ihrem großen Wartungsaufwand. Komplexe Haustechnik ist oft störanfällig und veraltet potenziell ähnlich schnell wie andere Elektronik. Inzwischen kosten Neubauten oder Kernsanierungen so viel, dass anschließend Mieten von 17 Euro und mehr pro Quadratmeter fällig werden; Sozialwohnungen lassen sich so nicht erstellen. Aber bietet ein Gebäudetyp E nicht auch viele Missbrauchsmöglichkeiten? Bedeutet einfach Bauen nicht auch eine geringere Bauqualität? Bauherren von Mietwohnungen, auch die mit großem Erfahrungsschatz, neigen generell dazu, die ökonomische Qualität des Baus über die eigentliche Bauqualität zu stellen – ob da die Loslösung von Richtlinien zum Ziel führt? "Wie soll ein alternativer Wärmeschutz nachgewiesen werden, wie in einen Förderantrag bei der BEG eingebracht werden? Wie soll ein schlechterer Schallschutz begründet werden? In der Leidensfähigkeit des Mieters, deutsche Schlager und Weihnachtslieder des Nachbarn zu ertragen?" fragt ein Leserbriefschreiber in der DAB.

Interessenkonflikte müssen gesellschaftlich gelöst werden

Es kollidieren die Interessen und Ansprüche von Seiten der Behörden, Wissenschaft, Sachverständigen, Hersteller, Bau-, Immobilienwirtschaft, Planenden und Ausführenden beziehungsweise des Umweltschutzes, der Sicherheit (Versicherungen, Feuerwehr und Polizei) und des Verbraucherschutzes. Der Praxistest für den Gebäudetyp E steht noch aus und auch mancher Architekt bezweifelt seinen Nutzen: "Welcher Bauherr sollte sich das antun?", wird im DAB gefragt, "wer hat zu viel Zeit und Geduld und insbesondere die technische Kompetenz, Abweichungen gegen Schallschutznormen, Wärmeschutznormen oder sonstige Richtlinien abzunicken und im Namen seiner Geldgeber das Risiko auf sich zu nehmen? Tut dies ein ehrenamtlicher Vorstand einer kleinen Baugenossenschaft? Oder jemand auf Sachbearbeiter-Ebene?" Mit dem Gebäudetyp E liessen sich diese Konflikte nicht auflösen, wird argumentiert. Sie müssten einem gesellschaftlichen Konsens zugeführt werden. Auch Andrea Gebhard sieht den Bedarf an einer grundsätzlichen Diskussion: „Was müssen wir uns leisten, was wollen und können wir uns leisten?“

Einfaches und zugleich qualitätvolles Bauen ist möglich

Das Projekt „Einfach Bauen“ an der TU München sollte erforschen, wie maximal einfache Häuser gebaut werden können, die minimal Energie und Ressourcen benötigen. Mittlerweile ist aus den Forschungsergebnissen ein Modellprojekt entstanden, in dem das Einfach-Bauen-Prinzip konsequent umgesetzt wurde. In Bad Aibling stehen seit 2019 drei auf den ersten Blick sehr schlichte Mehrfamilienhäuser mit unterschiedlichen Fensterformen. Was nicht sofort offensichtlich ist, berichtet die Fachpresse: Jedes der drei Gebäude hat eine andere, besonders einfach konstruierte Außenwand. Eines der Häuser ist ein Holzbau aus Massivholz, bei dem, anders als üblich, vollständig auf meist durch Folien gewährleistete Dampfsperren sowie zusätzliche Dämmung verzichtet wurde. Die einzelnen Schichten sind zudem nur an den notwendigen Bereichen verleimt, um spätere Demontage zu ermöglichen. Ein weiteres Haus besteht aus Hochlochziegeln, die wesentlich leichter recycelbar sind als die weiter verbreiteten Ziegel mit EPS-Füllung. Und das letzte ist ein Betonhaus mit dämmendem Infra-Leichtbeton, das ohne Bewehrung auskommt. Auch das Innenleben der dreistöckigen Bauten setzt auf maximale Einfachheit: die Wand- und Deckenkonstruktionen bestehen aus nur einer Schicht und sind massiv, wodurch sie als Dämm- und Speichermasse funktionieren. Die Fensterflächen sind an den tatsächlichen Bedarf und das ideale Raumklima angepasst und es wurden keine Hilfsstoffe und materialfremde Sonderbauteile verbaut.

Hightech-Verfahren für Lowtech-Lösungen

„Wir wollen es richtig machen: ressourcenschonend, regenerativ, Holzbau, Energie+. Die Technik dafür steht zur Verfügung. Doch es gibt auch Grenzen“, kritisiert der Architekt der Gebäude in Bad Aibling, Florian Nagler, die aktuell oft sehr komplizierten Bauweisen im Interview mit der 'Bauwelt'. Er fordert, dass wir die Mittel, die wir beim Bauen einsetzen, neu in den Blick nehmen müssen. „Weniger technische Apparate in den Bau, mehr (technische) Intelligenz in Planung, Simulation, Forschung – und Inspiration.“ So standen in Bad Aibling am Anfang des Forschungsprojekts die Optimierung der Konstruktionen und die Entwicklung von Raum- und Technikkonzepten. Dabei wurden auch Einzelräume entworfen und deren Energieverbrauch und das Raumklima in Abhängigkeit von der Tiefe, Breite, Höhe und dem Fensterzuschnitt mithilfe von Simulationen ermittelt. Auch Himmelsrichtung und Wetterdaten wurden als Einflussgrößen mit einbezogen. Daraus sind Räume entstanden, die nicht nur effizient, sondern auch vielfältig nutzbar und damit wandlungsfähig sind – weitere wichtige Faktoren für die Nachhaltigkeit der Häuser. Zudem wurden für alle Raumvarianten die Umweltauswirkung und die Kosten über den gesamten Lebenszyklus berechnet, also von der Rohstoffgewinnung bzw. Herstellung bis zur Entsorgung.

Nach der Bauphase wurde eine Dateninfrastruktur mit einem Netz aus über 300 Sensoren aufgebaut, mit denen dann in Langzeitmessungen die Außenwände, das Raumklima und das Nutzerverhalten gemessen wurden. Während viele hochtechnologische Bauteile in der Praxis oft ein Performance Gap aufweisen – die immer komplexeren Systeme erweisen sich als störanfällig, der versprochene Nutzerkomfort wird nicht erfüllt, die Ersparnis zudem vielfach vom Rebound-Effekt (einem erhöhten Verbrauch), Wartungs- und Reparaturkosten wieder aufgefressen – gab es bei den Einfachbauten keine großen Überraschungen. Die Zahlen bestätigten größtenteils die Simulationen. Nur die Energieverbräuche für Heizung und Warmwasser waren etwas weniger als erwartet. Stehenbleiben wird das Projekt hier nicht. Im Oktober startete das Forschungsteam mit dem Projekt ‚einfach (um)bauen‘. Dort soll untersucht werden, ob es finanziell und ökologisch sinnvoll sein könnte, die Bautätigkeit weniger auf Vollsanierungen, sondern mehr auf robuste Teilsanierungen zu fokussieren.

Die Intelligenz der Baukonstruktion

Das Projekt “Einfach Bauen” ist ein gutes Beispiel dafür, wie mehr Nachhaltigkeit durch weniger Komplexität erreicht werden kann. Mit ihrem Ansatz haben die Forschungshäuser in Bad Aibling den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2022 gewonnen. Ein weiteres Beispiel für diesen Paradigmenwechsel schuf das Architekturbüro Eberle mit seinem Bürohaus 2226 in Lustenau (Österreich) am Bodensee. "Ein Haus ohne Heizung, Lüftung und Kühlung – und das ohne Verzicht auf Komfort und für 1.000 Euro pro Quadratmeter", staunte die 'Bauwelt'. Mit diesem Gebäude wurde erstmals der Ansatz, Energieeffizienz durch immer komplexere Haustechnik zu erreichen, radikal zurückgenommen und auf die Intelligenz herkömmlicher Baukonstruktion gesetzt – also schon lange bewährte Mittel der Baukunst. Der entscheidende Unterschied zur heute gängigen Praxis: Die technische Intelligenz ist in den Bau gewandert, in Wände und Decken, Grundriss und Fassade – und nicht in Apparate. Wie in Bad Aibling werden Raumtemperatur und Klima durch die Materialien, die Raumhöhe und die maßvolle Befensterung optimiert, für hohe Dämmwerte sorgt eine nach Lage und Höhe optimierte Konstruktion aus Ziegeln. Die Vorteile der Einfach-Bauweise liegen auf der Hand: Durch die geringe Komplexität des Gebäudes bedarf es wenig Aufwand für Betrieb und Wartung. Und die Gebäude sind robuster gegen Veränderungen und langlebiger.  

Lowtech-Architektur: Natürlich Bauen in der nachwachsenden Stadt

Der Berliner Architekt Prof. Eike Roswag-Klinge (ZRS-Architekten) sieht in der sorgfältigen Materialwahl den Schlüssel zum einfachen und robusten Bauen, zur Lowtech Architektur. Sein Motto "Natürlich Bauen in der nachwachsenden Stadt" deckt sich mit der Sichtweise des internationalen Umweltverbands natureplus: "Klimaaktive Häuser aus Holz, Lehm und Naturfasern kompensieren nutzungsbedingte Schwankungen der Luftfeuchte und ermöglichen eine stabile, gesunde Raumluftfeuchte um die 50%. In Verbindung mit diffusionsoffenen Gebäudehüllen und klimaangepassten Fassadengestaltungen können Holz-Lehm-Häuser auf mechanische Lüftungsanlagen verzichten", argumentiert Roswag-Klinge. "Durch die Verwendung schadstoffarmer und Schadstoffe speichernder Baustoffe wie Lehm wird eine gesunde Raumluft gewährleistet. Bei zweimaliger Stoßlüftung am Tag kann das entstehende CO2 abgelüftet werden und die Raumlufthygiene sichergestellt werden. Der hohe sommerliche Wärmewiderstand von Naturfaserdämmstoffen und die zur Außentemperatur antizyklisch wirkende Feuchteschaukel durch Nachtauskühlung gewähren angemessenen thermischen Komfort im Sommer. Energetisch optimiert und Energie gewinnend gebaut entleihen Holz-Lehm Häuser ihre Baumaterialien natürlichen Kreisläufen und wirken in der Bilanzierung ressourcen-positiv."

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Autor
Thomas Schmitz
Journalist, unabhängiger Berater für nachhaltiges Bauen, ehemaliger Geschäftsführer von natureplus.
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