Suffizienz als Nachhaltigkeitsstrategie
Beim Lowtech Bau Symposium in Berlin wurde eindrucksvoll nachgewiesen, dass Suffizienz nicht mit Verzicht gleichgesetzt werden kann, sondern tatsächlich sogar eine größere Lebensqualität mit sich bringt, wenn sich Gebäudeplanung an den planetaren Grenzen und an den konkreten Bedürfnissen der künftigen Nutzenden orientiert.
Die Nachhaltigkeitsforschung umfasst drei zentrale Strategien zur Förderung der sozialökologischen Nachhaltigkeit: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Effizienz bezieht sich auf die Steigerung des Wirkungsgrades, um den Energie- und Ressourcenverbrauch zu senken, beispielsweise durch Wärmedämmung. Konsistenz zielt auf die Kreislaufführung und die Nutzung regenerativer Ressourcen ab. Dazu gehört beispielsweise die Umstellung auf erneuerbare Energien und die Verwendung kreislauffähiger Materialien. Bei beiden Strategien steht eine technokratische Sichtweise im Vordergrund. Heute weiß man, dass diese Maßnahmen nicht die erhoffte Wirkung erzielen, da die positiven Effekte von Effizienz- und Konsistenzmaßnahmen oft durch unsere Konsum- und Verhaltensweisen zunichte gemacht werden. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Raumwärmebedarf pro Quadratmeter Wohnfläche, der durch technische Effizienzmaßnahmen deutlich gesenkt werden konnte. Dennoch wurde das Reduktionsziel beim Raumwärmebedarf pro Person wegen des starken Anstiegs der Pro-Kopf-Wohnfläche nicht erreicht. Genau hier setzt das Prinzip der Suffizienz an. Denn die Suffizienzstrategie zielt nicht auf technische, sondern auf soziale Innovationen ab. Es geht um die Veränderung sozialer Praktiken und Verhaltensmuster im Rahmen der planetaren Grenzen.
Suffizienz umfasst verschiedene Ansätze zur Förderung einer nachhaltigen Wende im Bausektor. Sie beinhaltet die Reduktion der Nachfrage, wie z.B. die Verkleinerung der Wohnfläche oder geringere Raumtemperaturen. In der Substitution geht es um das Ersetzen durch nachhaltigere Materialien und Techniken beispielsweise durch gemeinschaftliche Nutzung von Räumen. Die Anpassung zielt darauf ab, Übermaß und Überdimensionierung abzubauen, etwa durch die Förderung flexibler Wohnungsgrößen und -grundrisse sowie experimenteller Wohnformen. Dass Suffizienz mehr als ein bloßes Verzichten bedeutet, sondern weitreichendere Dimensionen umfasst und einen Mehrwert im Sinne einer Steigerung der Lebensqualität schaffen kann, wurde beim 3. Lowtech Bau Symposium aufgezeigt und diskutiert.
Low Tech Bau Symposium zum Thema Suffizienz
Das im Rahmen des Innovationsprogramms Zukunft Bau geförderte 3. Lowtech Bau Symposium fand am 7. Juni 2024 an der TU Berlin statt und wurde vom Natural Building Lab (NBL) und dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gemeinsam organisiert. Die Veranstaltung gliederte sich in die 3 Kategorien Raum, Material und Gebrauch, in denen aus unterschiedlichen Perspektiven globale Auswirkungen, lokale Zusammenhänge und gebäudespezifische Ansätze aufgezeigt wurden. Aus den Bereichen Wissenschaft und Forschung, Planung, Sozialwissenschaften und Verwaltung/Politik gaben Fachleute einen disziplinübergreifenden Einblick in ihre Herangehensweisen, um Suffizienz im Bausektor auszugestalten.
Kategorie Raum
In diesem Themenblock wurden unter anderem spannende Beispiele aus der Planungspraxis gezeigt. Der Architekt Gustav Düsing stellte den Gewinnerentwurf seines Büros zum Wettbewerb für die Residenz des deutschen Botschafters in Tel Aviv vor. Dem vom Wettbewerb vorgesehenen Abriss des bestehenden Gebäudes haben sie sich bewusst widersetzt. Stattdessen lag der Fokus des Entwurfs auf dem Bestandserhalt und auch das vorgeschriebene Raumprogramm wurde stark hinterfragt. Dieses sah beispielsweise einen Veranstaltungsraum vor, der lediglich einmal im Jahr genutzt worden wäre. Düsing erweiterte in seinem Entwurf daraufhin die Gebäudehülle um die sogenannte „Mid-Doors“-Zone, einem Bereich zwischen Indoors und Outdoors – drinnen und draußen. Diese Zone bietet eine flexible Nutzung und kann den jeweiligen Bedürfnissen angepasst werden.
Gezeigt wurden außerdem gut gestaltete, gemeinschaftlich genutzte und flexible Räume, die nach Low Tech Prinzipien umgesetzt wurden: Weniger Materialien, diese dafür bewusst und gekonnt im Sinne ihrer bauphysikalischen Eigenschaften eingesetzt, um Räume für Menschen zu schaffen, die eine Aufenthaltsqualität besitzen, was letztlich auch die Nutzenden überzeugt. Eine weitere Erkenntnis ist dabei, dass die Quadratmeteranzahl der Räume lediglich einen quantitativen Wert darstellt, der noch nichts über deren Qualitäten aussagt. So kann das Narrativ von Suffizienz, das oft mit einem „Weniger“ und einem Verzicht verbunden ist, neu erzählt werden, um ein positives Beispiel von Zukunft zu vermitteln und unsere heutigen Komfortstandards und Vorstellungen von Privatsphäre zu hinterfragen - hin zu einer neuen Ära des „postfossilen Lifestyles“.
Kategorie Material
Ein zentrales Gesprächsthema war hier die immense Bedeutung der Bestandserhaltung und der Übergang hin zu einer Umbaukultur sowie die Notwendigkeit einer entsprechend angepassten Planungs- und Genehmigungspraxis. „Materialität ist aktiver Teil sozialer Strukturen. Wenn wir Bestand nicht als Objekt, sondern als Zusammenhang von Interaktion verstehen - Orte, Dinge, Menschen, Nutzungen, Infra- und Finanzstrukturen - dann bedeutet, sich um Bestand und seine Materialität zu sorgen, sich aktiv handelnd in diese Zusammenhänge einzumischen“ – so Ben Pohl von der denkstatt sàrl. Er zeigte in seinem Vortrag, wie die Phase Null mit integrierten Reallaboren funktionieren kann und zirkuläre Planungsstrategien neue Perspektiven für einen sparsamen Umgang mit wertvollen Ressourcen bieten.
Zirkuläre Planungsprozesse bedingen die Nutzung von re-use Materialien. „Never waste a good crisis, never waste a good resource“ – unter diesem Motto zeigte die Architektin Margit Sichrovsky von LXSY Architekten anhand von umgesetzten Projekten mit re-use Materialien und Bestandsnutzung, dass sich auch eine neue Architektursprache entwickeln muss und sich das Verständnis von Ästhetik dahingehend verändern wird. Das Prinzip der Einfachheit sollte aber auch im baukonstruktiven Bereich mit reduzierten Aufbaustandards sowie auf dem Gebiet der technischen Gebäudeausrüstung einkehren. Um einen Gebäudebetrieb zu ermöglichen, der unkomplizierter ist und weniger Wartung benötigt, bedarf es minimalistischer Technikkonzepte.
Kategorie Gebrauch
Im dritten Themenblock ging es unter anderem um die Suffizienz in Bezug auf Raumtemperaturen. Prof. Runa T. Hellwig zeigte die Entwicklung der Behaglichkeitstemperatur über das letzte Jahrhundert. So wurde 1925 noch eine Raumtemperatur von 18 Grad als angemessen angesehen. Durch die Entwicklung der Raumwärme zur „Ware“ ist der Begriff der Behaglichkeit heute eher mit Komfort gleichzusetzen. Dabei hat eine regelmäßige Exposition gegenüber milder Wärme oder Kälte, leicht außerhalb des Behaglichkeitsbereiches, sogar positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Verdeutlicht wurde außerdem, dass wir Menschen dahingehend sehr anpassungsfähig sind.
Die Architekturpsychologin Alexandra Abel plädierte für mehr Selbstwahrnehmung. Diese könne durch eine suffiziente Planung von Gebäuden und dem Zusammenspiel von Innen- und Außenraum mit unterschiedlichen Temperaturzonen sogar gestärkt werden.
Ein realisiertes Projekt, bei dem der Bestand genutzt und transformiert wurde und in dem auch das Zusammenspiel von Innen- und Außenraum eine bedeutende Rolle spielt, zeigte die Architektin Nanni Grau vom Planungsbüro Hütten & Paläste. Die U-Halle in Mannheim, die ehemals militärisch genutzt wurde, steht heute als Prototyp der Transformation und es resultierte ein multifunktionaler Raum, der vielfältig neu bespielt und durch modulare Elemente angepasst werden kann.